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Die Grundsätze des ÖREK 2030

2.2

Die Gestaltung des Wandels braucht eine starke Orientierung, die den Weg in die Zukunft weist. Das ÖREK 2030 wird von den drei Grundsätzen „Klimaverträgliche und nachhaltige Raumentwicklung“, Gemeinwohlorientierte Raumentwicklung“ und „Gerechte Raumentwicklung“ geleitet. Diese sind nicht getrennt zu sehen, sondern sie überlagern einander.

Klimaverträgliche und nachhaltige Raumentwicklung

Klimaverträgliche und nachhaltige Raumentwicklung hat die langfristige, generationenübergreifende Perspektive im Blick. Gerade räumliche Entwicklungen verlaufen sehr langsam und stetig. Die räumlichen Wirkungen setzen sich aus einer Vielzahl an kleinen Einzelentscheidungen zusammen, die erst in der Summe nach längeren Zeiträumen erkennbar und spürbar werden. Es ist schwer möglich, diese Entwicklungen wieder rückgängig zu machen und sehr kostenaufwendig, die unerwünschten Konsequenzen zu kompensieren.

Daher muss Raumentwicklungspolitik der Klimaverträglichkeit und Nachhaltigkeit in besonderem Ausmaß verpflichtet sein. Im Sinne der Generationengerechtigkeit überlagert sich dieser Grundsatz auch stark mit dem jenem der gerechten Raumentwicklung.

Im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der UNO werden wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit als gleichberechtigte Dimensionen angesehen. Das ÖREK 2030 konkretisiert die Beiträge der Raumentwicklung und Raumordnung zu den Nachhaltigkeitszielen und übersetzt sie in Handlungsaufträge.

Ökologische Nachhaltigkeit in der Raumentwicklung

Die Klimakrise, der Verlust an Biodiversität, aber auch Umweltbelastungen sowie der Rückgang an landwirtschaftlichen Nutzflächen durch die Flächeninanspruchnahme für Siedlungen und Infrastruktur gefährden die Zukunftschancen und Handlungsspielräume der nächsten Generationen.

Die räumliche Dimension der ökologischen Nachhaltigkeit bedeutet daher vor allem einen klimaverträglichen, sparsamen und schonenden Umgang mit den räumlichen Ressourcen. Nicht-nachhaltiges Wachstum zeigt sich zunächst in einer Verschärfung der Klimakrise, in einer Übernutzung und in letzter Konsequenz in einer Erschöpfung und Zerstörung räumlicher Ressourcen. Eine der wesentlichsten Aufgaben der Raumentwicklung und Raumordnung ist das frühzeitige Aufzeigen und Festlegen von Wachstumsgrenzen sowie das konkrete Begrenzen von Nutzungen.

Die Nutzung lokaler und regionaler erneuerbarer Energieträger ist zur Vermeidung einer Verschärfung der Klimakrise unabdingbar. Sie bietet neue wirtschaftliche Chancen, erzeugt aber auch neuen Druck auf räumliche Ressourcen. Raum- und Siedlungsstrukturen müssen daher so entwickelt werden, dass eine Zunahme der Bodenversiegelung minimiert und durch Entsiegelung kompensiert wird.

Die Absicherung der Freiraumfunktionen und der Ökosystemleistungen hat wichtige gesundheitspolitische Funktionen und ist für die Tourismus- und Freizeitwirtschaft von größter Bedeutung. In urbanen Gebieten geht es um die Sicherung der Grünräume mit ihrer Erholungsfunktion und ihrer enormen mikroklimatischen Bedeutung in der Klimakrise.

Nationalparks, Naturschutz- und Landschaftsschutzgebiete, Natura 2000 und Naturparks sowie UNESCO-Schutzgebiete sind Hot Spots der Biodiversität und übernehmen eine zentrale Funktion für die Vernetzung der Ökosysteme.

Schließlich übernimmt die Raumentwicklung und Raumordnung eine wichtige Rolle bei der Gestaltung einer klimaneutralen Mobilität: Kompakte Siedlungsstrukturen ermöglichen kurze Wege sowie die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Sie unterstützen die aktive Mobilität, also den Rad- und Fußverkehr.

Soziale Nachhaltigkeit in der Raumentwicklung

Die räumliche Dimension der sozialen Nachhaltigkeit zielt darauf ab, den sozialen und räumlichen Zusammenhalt zu stärken. Wandel führt immer zu unterschiedlichen sozialen und räumlichen Betroffenheiten. Es geht darum, regionale Ungleichheiten der Lebensqualität, der Wirtschaftsleistung und der Einkommen zu verringern und dabei besonders auf die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen zu achten (Gender Mainstreaming). Soziale Nachhaltigkeit im räumlichen Kontext bedeutet außerdem, die Versorgung mit Dienstleistungen der Daseinsvorsorge auch für Personen ohne eigenes Kraftfahrzeug und Menschen mit Behinderungen in einer inklusiven Gesellschaft zu sichern. Es bedeutet, leistbares und barrierefreies Wohnen für alle zu gewährleisten. Des Weiteren gilt es, die sozialräumlichen Qualitäten des öffentlichen Raums im Kontext mit dem Klimawandel (z.B. Hitzestress in bebauten Gebieten) zu verbessern. Die kulturelle Dimension der sozialen Nachhaltigkeit ist auch für die Raumentwicklung ein wesentlicher Aspekt. Dafür ist Baukultur ein wesentlicher Handlungsansatz.

Einer der wichtigsten Einflussfaktoren für die Raumentwicklung und Raumordnung ist der demografische Wandel – die Veränderung der Alterszusammensetzung der Bevölkerung, die Zuwanderung aus dem In- und Ausland, die regionale Verteilung von Bevölkerungszuwächsen und -rückgängen. Dienstleistungen und Infrastrukturen müssen an die altersspezifische Nachfrage angepasst werden. Räumlicher Segregation von ethnischen und sozialen Gruppen muss entgegengewirkt und Ab-, Rück- und Zuwanderung in einer verträglichen Balance gehalten werden.

Wirtschaftliche Nachhaltigkeit in der Raumentwicklung

Ein Ziel der Raumentwicklung und Raumordnung ist es, die Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz des Standortes Österreich mit all seinen Regionen in einer globalen und europäischen Wirtschaft zu sichern und zu stärken. Das ist für eine offene, exportorientierte und international stark verflochtene Volkswirtschaft von größter Bedeutung.

Dabei geht es um die Stärkung Österreichs als Standort für Forschung und Entwicklung ebenso wie die Ausrichtung der Regionen an ihren Stärken und Potenzialen („smarte Spezialisierung“). Vor dem Hintergrund des nötigen Wandels zu einer postfossilen Wirtschaft und Gesellschaft geht es aber auch darum, Österreich in einen klimaneutralen und klimaresilienten Wirtschaftsstandort zu transformieren. Dabei können die Innovationspotenziale der österreichischen Wirtschaft genutzt werden, um als technologischer Vorreiter neue Marktpotenziale zur erschließen. Das bedeutet, eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft und Wirtschaftskreisläufe möglichst regional zu organisieren. Das heißt auch, auf eine nachhaltige Entwicklung der Tourismus-, Kultur- und Freizeitdestinationen zu achten, die in regionale Wertschöpfungsketten gut eingebunden sind.

Die städtischen Regionen sollen dabei unterstützt werden, ihre Funktion als international wettbewerbsfähige Spitzenstandorte und attraktive Produktionsstandorte wahrnehmen zu können. Die ländlichen Regionen sollen sich als spezialisierte Bioökonomie- und Industriestandorte unter Wahrung von Klimaschutz und Biodiversität profilieren. Aber auch die städtischen Potenziale der Bioökonomie sollen verstärkt genutzt werden.

Ein wesentlicher Aspekt der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit ist eine klima- und umweltverträgliche Verbesserung der internationalen, nationalen und regionalen Erreichbarkeit der Wirtschaftsstandorte. Schwerpunkt ist in Zukunft der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und der Schienennetze mit ihren Knoten.

Gemeinwohlorientierte Raumentwicklung

Das ÖREK 2030 orientiert sich am Gemeinwohl. Das Aufeinandertreffen unterschiedlichster Ansprüche und Bedürfnisse im begrenzten und daher knappen Raum wird von persönlichen und wirtschaftlichen Interessen dominiert. Individuelle Eigentumsinteressen haben das Gemeinwohl nicht prioritär im Blick. Der Markt führt nicht automatisch zur optimalen Nutzung und Gestaltung des Raums im Sinne des öffentlichen Interesses.

Es ist daher die Aufgabe der Raumentwicklung und Raumordnung, die Interessen des Gemeinwohls zu vertreten und zu wahren. Die Wahrung von Eigentumsrechten und individuellen Freiheiten muss mit dem gemeinwohlorientierten öffentlichen Interesse in Einklang gebracht werden. Insbesondere bei Grund und Boden als nicht vermehrbare Güter muss ein Ausgleich zwischen individuellen Eigentums- und Freiheitsrechten und einer dem Gemeinwohl dienenden Gesamtgestaltung des Raumes gesucht werden. Das gilt auch für die Wahrung der Gemeinwohlinteressen bei Wertsteigerungen durch den Einsatz öffentlicher Mittel (z.B. infrastrukturelle Erschließung, öffentliche Dienstleistungen, Änderungen in der Widmung und Nutzbarkeit). Vertragsraumordnung oder städtebauliche Verträge stellen dafür wichtige Instrumente dar. Aber auch der Zugriff auf Daten muss in einer digitalen Welt als wichtige Ressource für die Planung geklärt werden. Eine gemeinwohlorientierte Raumentwicklung ist angewiesen auf eine entsprechende finanzielle Ausstattung räumlicher Einheiten und Institutionen. Aus der Sicht einer gemeinwohlorientierten Raumentwicklung ist daher ein gesellschaftlich unerwünschter Steuerwettbewerb zwischen Gemeinden, Regionen, Bundesländern und Staaten kontraproduktiv.

Das Gemeinwohl wird durch die jeweils aktuellen gesetzlichen Regelungen, Normen, Verträge und Vereinbarungen bestimmt. Im Kapitel 4 „Wandel ist nötig“ werden wichtige Rahmenbedingungen für eine gemeinwohlorientierte Raumentwicklung zusammengefasst. Dieser normative Rahmen reicht aber nicht, um in jedem konkreten Einzelfall eine eindeutige Lösung ableiten zu können. Ziele, Bedürfnisse und Wünsche stehen oft im Widerspruch zueinander und können im konkreten Fall zu Konflikten führen. Ein wichtiger Teil der Gemeinwohlorientierung besteht daher in der Gestaltung von Mechanismen der Kooperation und Koordination. Dazu gehört die Beteiligung von betroffenen Akteur:innen, die für lösungsorientierte Abwägungs- und Aushandlungsprozesse unabdingbar sind.

Gerechte Raumentwicklung

Gemeinde, Städte und Regionen sind als Räume mit sehr unterschiedlichen Ressourcen ausgestattet. Dazu zählen natürliche Ressourcen ebenso wie soziale und wirtschaftliche Ressourcen, die sich historisch in gesellschaftlichen Prozessen entwickelt haben. Räume sind in einer global vernetzten Welt aufeinander angewiesen. In rein marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaften besteht die Gefahr, dass sich soziale und räumliche Ungleichheiten eher verstärken als verringern. Wenn diese Ungleichheiten zu groß werden, kann es in beiden Fällen zu unerwünschten Effekten kommen. Insgesamt kann es zu einer Schwächung des territorialen Zusammenhalts kommen.

Das Grundprinzip der räumlichen Gerechtigkeit bedeutet:

  • Eine Raumentwicklung, die dazu beiträgt die regionalen Ungleichheiten nicht zu vergrößern, sondern zu verringern. Das kann z.B. erreicht werden durch eine an den jeweiligen regionalen Stärken und Potenzialen ausgerichtete Förderung, eine Abgeltung für besondere natürliche Erschwernisse (z.B. Ausgleichszulage für Berggebiete), für gemeinwohlorientierte Leistungen (z.B. Landschaftspflege, Naturschutz, Ökosystem-Dienstleistungen) oder die Übernahme zentralörtlicher Funktionen der Daseinsvorsorge (z.B. Gesundheits- oder Bildungseinrichtungen mit regionaler Bedeutung).
  • Eine Raumentwicklung, in der Menschen gleiche Startchancen haben, ihren Wohn- und Arbeitsort möglichst nach ihren Präferenzen zu wählen (Chancengerechtigkeit).
  • Eine Raumentwicklung mit einem Anspruch auf eine Mindestausstattung mit Infrastrukturen und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge. Sie sind eine unabdingbare Voraussetzung für gleichwertige Lebensbedingungen und die Verwirklichung individueller Lebensentwürfe (Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit).
  • Eine Raumentwicklung, die nicht nur die Verteilung der Ausstattung von Räumen in den Blick nimmt, sondern in der auch die objektiven Ergebnisse (z.B. Lebenserwartung, Gesundheitszustand, Bildungsabschlüsse, Erreichbarkeiten, Umweltqualität) und die subjektive Einschätzung der Lebensqualität (z.B. Zufriedenheit mit dem Wohnumfeld, mit den Beschäftigungsmöglichkeiten, dem sozialen Leben, den Erreichbarkeitsverhältnissen) handlungsleitend sind.
  • Eine Raumentwicklung, die raumtypenspezifisch an den besonders relevanten Ungleichheiten ansetzt und dazu beiträgt diese zu reduzieren. So haben etwa in städtischen Räumen ausreichend leistbarer Wohnraum, die Ausstattung mit wohnungsnahen Grün- und Erholungsräumen oder eine gute Umweltqualität eine größere Bedeutung. In ländlichen Regionen stehen die Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen und Einrichtungen der Daseinsvorsorge, hohe Mobilitätskosten oder die Entwicklungschancen von Mädchen und Frauen im Vordergrund.
  • Eine Raumentwicklung, die für den Standort Österreich insgesamt vorteilhaft ist und dem Wohlergehen aller zu Gute kommt.

Gerechte Raumentwicklung bedeutet nicht, Räume „gleich zu machen“. Das würde einer volkswirtschaftlich effizienten und effektiven Gesamtentwicklung und der wünschbaren Vielfalt für die Auswahl von Lebensstandorten widersprechen. Räumliche Ungleichheit darf aber nicht zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung und Einschränkung von Lebenschancen führen.

Der Grundsatz der räumlichen Gerechtigkeit adressiert in hohem Ausmaß die Ausstattung räumlicher Einheiten mit finanziellen Mitteln, die regionale und kleinräumige Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Aus der Sicht der Raumentwicklung sind daher Regelungsmechanismen gegen den gesellschaftlich unerwünschten Steuerwettbewerb zwischen Standorten in einer Welt mit weitgehend liberalisierten Waren-, Finanz- und Personenverkehr von hoher Bedeutung. Die europäischen Kohäsionsprogramme und der gesamtstaatliche Finanzausgleich sowie regionale finanzielle Ausgleichsmechanismen sind zentrale Instrumente für eine gerechte Raumentwicklung.

Das Grundprinzip der Gerechtigkeit im ÖREK 2030 korrespondiert mit dem Europäischen Green Deal mit seinen „gerechten Transformationsmechanismen“. Auch die Territoriale Agenda 2030 der Europäischen Union spricht von einem „gerechten Europa, das Zukunftsperspektiven für alle Orte und Menschen“ bietet. In der Leipzig Charta für europäische Städte stellt die „gerechte Stadt“ eine der drei Dimensionen auf dem Weg zu einer nachhaltigen und resilienten europäischen Stadt dar.

Sowohl Gemeinwohl als auch Gerechtigkeit sind im konkreten Fall zu präzisieren und in Handlungen zu übersetzen. Auch hier sind Aushandlungs- und Abwägungsprozesse erforderlich, für die die Raumentwicklung und Raumordnung die Datengrundlagen und die Governance-Mechanismen bereitstellt (Beteiligungsgerechtigkeit).